Empathie und Klarheit – Gewaltfreie Kommunikation nach Rosenberg
Manchmal sagen wir nicht klar unsere Wahrheit, obwohl es uns im Inneren drängt. Wir sagen ja zu einem Arbeitsauftrag, obwohl wir im Inneren Nein meinen, und dies, um Konflikte mit den Kollegen oder dem Chef zu vermeiden. Wir sagen nichts zu einem Verhalten, mit dem wir nicht einverstanden sind, denn wir sind unsicher, wie wir Botschaften, die für die andere Person unangenehm sind, ausdrücken können, ohne zu verletzen, oder dass die Beziehung Schaden nimmt. Im Ärger fällen wir oft harte Urteile, und wenn wir sie ausdrücken, geraten wir leicht in eine Auseinandersetzung, oder andere wenden sich ab und machen dicht.
Aber nichts zu sagen ist keine Alternative. Das Nichtgesagte kann die Beziehung ruinieren, wenn wir irgendwann aus nichtigem Anlass platzen, die Motivation bei der Arbeit flöten geht oder die Ansammlung von Groll in den persönlichen Beziehungen die Zuneigung und die Liebe erstickt.
Alles Handeln ist ein Versuch, Bedürfnisse zu erfüllen
Einen Ausweg aus diesem Dilemma bietet die von dem Psychologen Marshall B. Rosenberg in den 60er Jahren entwickelte „Gewaltfreie Kommunikation“, denn mit ihr verschieben wir den Focus auf die hinter dem Gesagten - den Urteilen und Vorwürfen - liegenden Bedürfnisse: Ich ärgere mich – nicht, weil du unpünktlich bist. Dass du später gekommen bist, als wir vereinbart hatten, ist nur der Anlass. Die tiefere Ursache ist ein Bedürfnis, das nicht erfüllt worden ist. Ich bin frustriert, weil ich meine Zeit effektiv nutzen möchte. An einem anderen Tag wäre mir deine Unpünktlichkeit vielleicht sogar ganz recht gewesen, weil sie mir zwischen vielen Terminen eine kleine Verschnaufpause verschafft hätte. Es standen andere Gefühle und Bedürfnisse im Vordergrund, nämlich Freude über Entspannung und Ruhe.
Ich bin genervt beim Aufräumen – nicht, weil du ein Egoist bist und mir die Arbeit alleine überlässt, sondern weil ich Bedürfnisse habe, die nicht erfüllt sind. Das will ich dir sagen und orientiere mich dabei an den vier Schritten der Gewaltfreien Kommunikation.
- Beobachtung statt Interpretation: Was ist passiert? „Ich habe allein aufgeräumt. Wir hatten vereinbart, dass wir dies zusammen machen.“
- Gefühl statt Gedanken: Wie geht es mir dabei? „Ich bin genervt, frustriert, müde.“
- Bedürfnis statt Strategie: Was brauche ich, was ist mir wichtig? „Ich brauche Unterstützung, Zusammenarbeit, Zuverlässigkeit.“
- Bitte/Strategie: Worum bitte ich dich konkret? „Bitte sage nächstes Mal so früh wie möglich Bescheid, wenn dir etwas dazwischen kommt, damit wir einen anderen Termin finden.“
Das sage ich ohne Vorwurf und bin offen zu hören, was dich davon abgehalten hat, mir zu helfen. Jede Handlung ist ein mehr oder weniger gelungener Versuch, Bedürfnisse zu erfüllen. Eine gelungene Kommunikation bedeutet, dass die Gefühle und Bedürfnisse von mir und von meinem Gegenüber ihren Platz haben. Wenn ich dir zuhöre, kann ich mich empathisch in dich hineinversetzen, auch wenn mir dein Verhalten nicht gepasst hat. Ich muss ja nicht einverstanden sein.
Das wichtigste Ziel ist zunächst, miteinander in Verbindung zu kommen. Verbindung entsteht, wenn die Bedürfnisse aller Beteiligten erkannt und anerkannt werden. So schaffen wir eine Basis dafür, uns zu verständigen und uns einfühlsam und wertschätzend zu begegnen, auch im Konflikt. Dann ist die Bereitschaft größer, nach Lösungen zu suchen, denen alle zustimmen können. Wir können zusammen eine Strategie finden, wie wir solche Situationen in Zukunft zu unser beider Zufriedenheit handhaben.
Ein Nein ist ein Ja zu etwas anderem.
Insbesondere, wenn es darum geht, Grenzen zu setzen und Bitten abzulehnen, ist es wichtig, in Verbindung zu bleiben. Die Freundin ruft an, weil sie ein sie belastendes Problem hat, das sie mit mir besprechen möchte, während ich gerade beim Schreiben eines Textes bin. Ich nehme wahr, dass es ihr nicht gut geht und habe durchaus das Bedürfnis, sie zu unterstützen, möchte aber gleichzeitig den Text schnell und effektiv zu Ende bringen. Ich sage ihr also, dass es mir wichtig ist, meine Konzentration aufrechterhalten und nicht zu unterbrechen und dass ich ihr gerne später mit voller Präsenz zuhöre. Deshalb bitte ich sie um einen späteren Termin. Ich teile also meine Bedürfnisse mit und signalisiere gleichzeitig, dass ich ihr Bedürfnis gehört zu werden, verstehe und ernst nehme.
Ich sage nicht nur, wie dies oft üblich ist, dass ich keine Zeit habe, denn diese Aussage kann leicht als Ausrede oder Ablehnung interpretiert werden.
Authentisch zu bleiben und ehrlich nein zu sage, ist viel einfacher, wenn ich weiß, was ich fühle und was ich brauche und dies in Ich-Botschaften mitteilen kann. Ich sage ja zu mir, zu meinen Gefühlen und Bedürfnissen, aber auch zu denen der anderen Person, auch wenn ich mit ihrer konkreten Strategie - hier: sofort am Telefon miteinander sprechen - nicht einverstanden bin. Eine Ablehnung zu hören und zu akzeptieren, ohne sie persönlich zu nehmen, wird leichter, wenn ich weiß, was beim Anderen dahinter steht.
Wenn wir uns verbiegen und unser Nein unterdrücken, kann uns das krank machen. Vor lauter Pflichterfüllung, vor lauter Angst vor Ablehnung übersehen wir z.B. körperliche Signale. Wir funktionieren nur, spüren unsere Gefühle und Bedürfnisse nicht mehr und landen schlimmstenfalls im Burnout. „Worse than a no is a yes, that is not so“, heißt es in einem englischen Sprichwort. Wenn ich Grenzen setzen kann, dann bin ich authentisch und frei und habe die Wahl. Dann kann ich auch aus vollem Herzen Ja sagen.
Es geht um die Haltung
Die Gewaltfreie Kommunikation ist nicht nur eine Kommunikationsmethode, die es erlaubt, sich im Alltag klar mitzuteilen und zuhören zu können, sondern auch eine Haltung mir selbst und anderen Menschen gegenüber, ein Bewusstseinsprozess, durch den ich persönlich wachse. Ich horche in mich hinein: Wie geht es mir gerade? Ich spüre: Hinter dem Ärger sitzen Enttäuschung und Traurigkeit. Worauf weisen mich diese Gefühle hin? Ach ja, es geht mir z.B. darum, gesehen und einbezogen zu werden. Jetzt kann ich konkrete Bitten an mich selbst und an andere finden, mit denen diese Bedürfnisse erfüllt werden können.
Ich brauche also nicht nur Empathie für andere, sondern auch Selbstempathie und die Bereitschaft, mich zu zeigen. Das ist ungewohnt und fällt am Anfang schwerer als einen Vorwurf oder ein schroffes Nein auszudrücken. Denn ich bin mit meiner Verletzlichkeit, meiner Bedürftigkeit und oft mit meiner Scham konfrontiert. Aber nur so kann ich diesen begegnen und sie erforschen. Und wenn ich mich immer mehr kennenlerne und akzeptiere, kann ich meine Komfortzone – der Bereich, in dem ich mich sicher fühle und mich traue - nach und nach ausdehnen und freier werden.
„Was ich in meinem Leben möchte, ist Einfühlsamkeit, ein Fluss zwischen mir und anderen, der auf gegenseitigem Geben von Herzen beruht.“
Marshall B. Rosenberg
Die nächsten Workshops im Aquariana:
- „Authentizität und die Freiheit, Nein zu sagen“
2 Freitagabende am 10. und am 17.11.23, 18:00-21:00 Uhr
zus. € 80,- | Erm. - „Empathie und Klarheit - Einführung in die Gewaltfreie Kommunikation“
Samstag, 13.01.24, 9:30-16:00 Uhr
€ 90,- | Erm. - Übungsgruppe Gewaltfreie Kommunikation
Ein Dienstagabend im Monat.
Die nächsten Termine: 14.11. und 12.12.23
€ 18,-/Ab.
Anmeldung an: mfes@posteo.de
Giraffe: Säugetier mit dem größten Herzen und der größten Übersicht. Symboltier der Gewaltfreien Kommunikation (Foto: Pixabay)